Notizen zu meiner Arbeitsweise

Ursprünglich von der Malerei kommend, umfasst das Oevre mittlerweile verschiedene Genres: Grafik, Bühnen- und Kostümbild, szenisches Environment, Druckgrafik, Bildhauerei, Performance.
 
Genreübergreifend lassen sich in den Arbeiten einige rote Fäden erkennen.

  1. So wie es die Theaterarbeit forciert hat, zu den Stücken jeweils eigene dem Stoff angemessene ästhetische Lösungen zu finden, werfen die jeweils aktuellen Beschäftigungen mit Themen immer wieder neu Fragen nach der adäquaten ästhetischen Umsetzung auf. Die Wahl der Mittel, des Genres, die konkrete Umsetzung resultiert aus meiner Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Themas. So verlangten beispielsweise die Aurelia Steiner-Texte von Marguerite Duras nach einer akkustisch-räumlichen Umsetzung des ambivalent schwebenden Erinnerungsraumes. Die Auseinandersetzung mit bildgebenden Verfahren führte zu einem malerisch-grafischen Rahmen für die eigene ästhetische „Intro-Spektion“.

  2. Das Dokumentarische zeigt sich in frühen Arbeiten wie in der „Seilfahrt“, in der die düstere Atmosphäre Seilfahrtviertels mit abbruchreifen Industriehallen und Schrottplätzen kurz vor dem Abriss in einer Lithografie-Serie eingefangen wurde, aber auch in der Serie „kreative Keimzellen“, in welcher der Wachstumsprozess von Pflanzen, ausgehend von den Keimlingen (kleine Formate) bis hin zu größeren, dichter bewachsenen, teilweise auch blühenden Pflanzenstücken dokumentiert wird. Fortgeführt wird der Themenbereich in der Bildreihe zu den „Essplosionen“, entstanden durch die direkte Erfahrung vor Ort im Gemeinschaftsgarten. Auch die „Intro/Spektion“ ist eine beobachtende Dokumentation der wahrgenommenen körperlichen Veränderungen an Tagen der apparatmedizinischen Behandlungen.

  3.  Das Arbeiten in Serie ist ein weiterer Strang. Im Fall der „Intro/Spektions“-Arbeiten stiftet das Konzept der Serie den Beobachtungsrahmen, bei den „Momentaufnahmen“ reflektiert das Serielle das Verhältnis vom einzelnen Moment zum Ganzen, dem musikalischen Kontinuum.  Auch in den Naturstücken zeigt sich durch das Additive der Naturfragmente in der Anordnung jedoch wieder die Idee von dem weiterführenden, darüberhinausgehenden Naturkontinuum. Auf diese Weise entstehen spannungsreiche Verweisungsgeflechte zwischen den Arbeiten.


Britta Meier (im Mai 2022)

Ausstellungstexte zu konkreten Werkreihen:

„Kreative Keimzellen“ (2013) >>

Pflanzaktion in der Alsenstraße: Der Alsengarten wächst und gedeiht.
So auch parallel dazu die „kreativen Keimzellen“ auf den Leinwänden.
Schnell stoßen sie an die Ränder, lassen die Formate wachsen, sprengen sie, explodieren zu einem bunten Blütenmeer. Das Alsenwohnzimmer wird zu einem Gewächshaus.

 


Aurelia Steiner Paris/Düsseldorf: Hier und nirgendwo (2013-2016) >>

„Eine an die Wand befestigte Glühbirne erhellt den Krieg (...)“ Hör, sie überfliegen den Rhein.“, sagt das Kind. „Ja.“ Es ist kein Geräusch mehr zu hören.“
„Aurelia Steiner“ heißt der Textband von Marguerite Duras. Die Figur Aurelia Steiner erzählt sich darin ausgehend von der autobiografischen Klammer „Ich bin Aurelia Steiner. Ich bin 18 Jahre alt und lebe in Paris, wo weine Eltern Lehrer sind“ erinnernd jedes Mal neu. Paris. Vancouver. Melbourne. Es sind Erzählungen, die erinnernd verschiedene Arten der Diaspora-Erfahrung thematisieren, die verschiedene Orte konkret sinnlich erlebbar machen und verschiedene Identitäten aufwerfen. Aurelia Steiner Paris erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens, deren Mutter vor den Nazis geflohen ist und einer fremden sie nun umsorgenden Dame während eines Luftangriffes. Der nicht näher bestimmbare Unort der Erzählung geht im Laufe der Erzählung, die aus dem Off eingespielt wird, ein nicht-mimetisches Verhältnis zu dem Raum des szenischen Environments ein, der Bunkersituation, den Lichtstimmungen, der provisorischen, wenig wohnlichen Einrichtung für eine flüchtige Existenz. Das Setting ist menschenleer und doch ist es, als wäre Aurelia Steiner anwesend im Szenenbild, als würden Momente der Erzählung sich flüchtig mit ihm verbinden, einen „Echoraum“ (Helge Herberle) für ein erinnertes Erleben bilden. So, wie die Diasporaexistenz flüchtig Orte findet, gestaltet sich auch dieses szenische Environment an unterschiedlichen Orten anders aus.

 


Essplosionen (2016) >>

Farbrausch – Formrausch
Im Gemeinschaftsgarten sprießen, eingebettet in guter Komposterde, die essbaren Pflanzen. Sie sprengen die Bäckerkistenbeete, springen ins Auge, sprengen den Bildrand.
Artenreichtum, Formreichtum, Farbreichtum.
Die Sensation der direkten Erfahrung vor Ort lässt die Leinwände vibrieren.

 


Intro/spektion (2018) >>

Die Arbeit reflektiert mediale Aspekte der häufig ein entfremdetes Körperempfinden produzierenden Apparatmedizin und nimmt diese Aspekte in einem künstlerischen bildgebenden Verfahren auf. Es entsteht eine serielle Arbeit, welche den Prozess der Selbstbeobachtung des Körpers und dessen Dokumentation in einen spannungsreichen künstlerischen Rahmen überführt.

 


Notationen: Momentaufnahmen (2020) >>


Analog zum Höreindruck überlagern sich in den Notationsspuren gleichzeitig verschiedene Stimmen in ihrer Helligkeit und Dynamik. Durch die serielle Reihung entfalten die visuellen Momentaufnahmen eine vielschichtige Rhythmik.


Cataratas (2019-2022) >>
Acryl und Öl auf Leinwand, 4x 60x140cm

Wie ist der Größe und Wucht und Naturgewalt der Catarartas del Iguazú (monumentaler Wasserfall im Dreiländereck Argentinien/Paraguay/Brasilien) künstlerisch beizukommen?
Der individuelle Blick darauf ist immer nur ein ausschnitthafter.
Das Prinzip der seriellen Reihung nimmt die existentielle Grundbedingung der ausschnitthaften Wahrnehmung auf, es sind somit x Erweiterungen denkbar, die das Serielle anregt, weiterzudenken. Die potentielle Größe ist hierin angelegt.
Das Fließen des Wassers malerisch festzuhalten ist ein kompositorischer Akt, der im Laufe der Bildfindung viele fließende Varianten durchlaufen hat, bis er zu dem aktuellen Endpunkt eine rhythmisch/arhythmische Form gefunden hat, die das Fließen in der unregelmäßigen Regelmäßigkeit zum Ausdruck bringt.
Die teilweise über die Acrylschicht gelegte Ölschicht verstärkt den Eindruck der wässerigen Lichtreflexe, der Schnelligkeit des Wasserflusses.

 


Hot Rotten All-over (2023) >>
Kohle, Öl auf Leinwand, X x 20x20, Matrix in progress

Alles kommt in die Heißrotte./Wenn es heiß wird, verrottet alles heiß.
Mit dieser Ambivalenz spielt die Werkreihe „Hot Rotten all-over“.
Alles kommt in die Heißrotte heißt: Küchenbioabfälle werden „portraitiert“. Die Abfälle von dem, was in der Barocken Stillebenmalerei bildwürdig war. Die Abfälle von dem, was im Barock christlich allegorisch überhöht wurde, mahnend gedenkend der eigenen Sterblichkeit. Abfälle und noch mehr Abfälle. Jede Sorte wird wertgeschätzt, erscheint in ihrer Totalität im All-over, kann endlos weiter fortgesetzt gedacht werden. Weil es Reste sind, die wahllos zusammengewürfelt wurden, weil es kleinteilige Elemente sind, die eher nonfocussal bis polyfocussal auf der Bildfläche erscheinen, entziehen sie sich, obwohl die Malweise eher eine realistische ist, der Gegenständlichkeit, wirken abstrakt. Die Sortentafeln geben ein Ensemble, eine Zusammensetzung, die auch wiederum potentiell ergänzend ausgebreitet werden kann. Zusammen bilden sie in der kompakten Form eine künstlerische Heißrotte. Statt Memento mori steht hier der Anfang eines Prozesses, der im Wandel wieder Leben hervorbringt. Ein Kreislauf.
Wenn es heiß wird, verrottet alles heiß  - heißt: Der Klimawandel, bedingt u.a. durch Argrobusiness, durch Rodungen, Waldbrände. Er hinterlässt Spuren in der Landschaft und wird weiterhin Spuren hinterlassen. Die Monokulturfelder korrespondieren mit den All-over-Feldern, sie sind auch lesbar als scapes, die farblich und auch von den Strukturen her verrottete, verdörrte Monokulturreste imaginieren lassen. Auch hier reihen sich Felder an Felder, endlos, all-over.  Das Memento Mori, das im Barock an den Rezipienten appelliert (Bedenke, dass du sterblich bist!), bezieht sich nun auf den Zustand der Welt und appelliert an alle.